Dienstag, 12. November 2013

"Aber wenn man jemanden WIRKLICH liebt..." - die Unsinnigkeit des Ausschließlichkeitsdenkens

Irgendwie ist das Polydingsda ja schon ganz nett. Unter manchen Aspekten. Für manche Menschen. Manchmal. Aber dann kommt der alles entscheidende Einwand: "Wenn man jemanden WIRKLICH liebt, dann hat man gar kein Bedürfnis nach anderen."

Wer genau hat eigentlich die Deutungshoheit darüber, was "wahre" und "unwahre" Liebe sein sollen? Wo der Monogamist davon spricht, dass es doch keine echte Liebe sein könne, wenn man andere begehrt oder wenn es einem nichts ausmacht, dass der Partner weitere Partner hat, könnte der Polyamorist entgegnen, dass es ja keine wahre Liebe sein könne, wenn man den Partner so wenig liebt, dass man ihm keinen weiteren sexuellen Spaß sowie Liebschaften und emotionale Bindungen gönnt. Wenn ich jemanden mag oder liebe, dann gönne ich dieser Person alles erdenklich Gute. Warum soll die Mitfreude denn im Schlafzimmer oder im Herzen plötzlich nicht mehr vorhanden sein?

In Was ist eigentlich Liebe? habe ich ein Modell des Psychologen Robert Sternberg vorgestellt, mit dem sich Liebe grob beschreiben und sich verschiedene Formen der Liebe unterscheiden lassen. Dabei geht es jedoch lediglich um den Schwerpunkt oder die Beschaffenheit der Liebe, nicht um eine Wertung in wahre und falsche oder gute und schlechte Liebe. So können wir natürlich romantische Liebe von kameradschaftlicher Liebe unterschieden (bei der kameradschaftlichen Liebe spielt die Leidenschaft eine geringe bis gar keine Rolle), ohne jedoch irgendeine dieser Formen als "wahrer" oder "unwahrer" als die andere zu bezeichnen (nach welchen Kriterien denn überhaupt?). Man kann sich Gefühle nicht einbilden, entweder man fühlt sie oder man fühlt sie nicht. Man kann sie nur unterschiedlich stark fühlen oder unterschiedlich interpretieren. Natürlich können sich Gefühle im Laufe der Zeit auch ändern, sowohl zum positiven als auch zum negativen für die Betroffenen.

Im Falle der Freundschaft oder familärer Liebe wenden Monogamisten dieses Kriterium übrigens nicht an. Selbst der frömmste Moralist würde nicht auf die Idee kommen zu behaupten, dass man seine Mutter nur dann wirklich lieb haben könnte, wenn man den Vater nicht lieb hat (wir sprechen hier von familiärer Nähe und Bindung, Ödipus und Freud lassen wir an dieser Stelle mal außen vor). Auch würden die wenigsten bestreiten, dass es sehr wohl möglich ist, mehrere gute Freund*innen oder Kumpels zu haben.

Des weiteren stellt sich mir die Frage, warum sich viele Menschen (und Paare) so dermaßen verbohrt mit dem Thema der "Treue" (im Sinne von Ausschließlichkeit), Verboten in der Beziehung, Kontrolle über den Partner und Rachegelüste im Falle eines "Seitensprungs" auseinandersetzen, wenn doch angeblich gar kein Anlass dazu besteht. Wenn das Bedürfnis nach anderen gar nicht existieren kann, dann bräuchte man doch dieses repressive Regelwerk gar nicht. Andersherum: Wenn dieses Regelwerk notwendig ist und von vielen sogar als die Grundlage jedweder Beziehung betrachtet wird, dann ist das ein eindeutiger Hinweis darauf, dass eben doch ein Bedürfnis nach Freiheit, Abwechslung und/oder Nähe zu anderen Menschen besteht. Hier würden die meisten monogamen Menschen einwenden, dass man eben Kompromisse eingehen muss in Beziehungen. Ganz ehrlich: Ich will nicht, dass meine Beziehungen nur Kompromisse sind oder nur das "kleinere Übel". Denn wenn man in solchen grundlegenden Belangen wie Freiheit Kompromisse eingeht, dann fängt man an sich zu verbiegen - und das kann doch wohl kaum der Sinn einer Beziehung sein. Wenn man sich sicher ist, nie das Bedürfnis nach Abwechslung zu haben, dann verzichtet man allerdings zugegebenermaßen auch auf nichts. Wie gesagt würden in diesem Fall jedoch all die Ausschließlichkeitsregeln obsolet.

Der absurdeste Widerspruch in dieser Sichtweise ist jedoch das Kriterium, nach welchem man beurteilen möchte, das (wahre) Liebe ist. Es ist dieser Aussage zufolge nur dann Liebe, wenn man sonst keine andere Person liebt oder begehrt. Das heißt, man definiert die Liebe nicht über die Gefühle, die man zu einer Person hat, sondern darüber, welche Gefühle man für andere Personen nicht hat. Ausschlaggebend sei also nicht die Anwesenheit, sondern die Abwesenheit von Gefühlen. Ist das nicht ein ziemlich liebloser Ansatz?

Donnerstag, 25. Juli 2013

Eifersucht - warum wir eifersüchtig sind


Du, Eifersucht, wärst Amors Kind?
So sei von mir bewundert.
Dein Vater, saget man, ist blind;
du hast der Augen hundert.
(Gerhard Anton von Halem)


Während der Verfasser dieser Zeilen schon im 18. Jahrhundert seine Zweifel an der Zugehörigkeit der Eifersucht zur Liebe reimend ausdrückte, halten heutzutage viele Menschen an der Vorstellung fest, Eifersucht gehöre zwingend zur Liebe dazu oder sei gar als "Liebesbeweis" zu werten. In manchen Kreisen gerät ein Mensch, der nicht eifersüchtig ist, unverzüglich in den Verdacht seinen Partner nicht wirklich und wahrhaftig zu lieben. Zwar hinterfragen die meisten Menschen nicht die Eifersucht an sich, dennoch merken viele, dass an dieser traditionellen, verherrlichenden Auslegung irgendetwas nicht stimmt:

Erstens: Jede Person, die schon einmal eifersüchtig war, weiß, dass es ein als negativ empfundenes Gefühl ist, trotz aller Mystifizierungen.

Zweitens: Wer sich von Eifersucht beherrschtes Verhalten von Menschen anschaut, wird feststellen, dass dies in den wenigsten Fällen liebevoll ist. Im Gegenteil: Man beschuldigt den Partner (wofür eigentlich?), spricht Verbote aus, zeigt Misstrauen und geht ganz und gar nicht auf die Bedürfnisse des Partners ein - im Gegenteil, man subkommuniziert mit solchem Verhalten: "Deine Bedürfnisse sind mir momentan egal, nicht dagegen meine Besitzansprüche." Spätestens hier sollten Zweifel daran aufkommen, dass Eifersucht ein Bestandteil der Liebe wäre.

Eifersüchtiges Verhalten ist nicht nur extrem lieblos, sondern kann auch sehr zerstörerisch auf die Liebe und die Beziehung wirken. Man erschafft dadurch eine Atmosphäre des Misstrauens, der Rechtfertigungspflicht und der Einschränkungen und löst damit womöglich erst das aus, was man so fürchtet, nämlich dass der Partner die Beziehung als zunehmend negativ behaftet sieht (selbst wenn er auf einer oberflächlich-rationalen Ebene interpretiert, dass er dir wichtig ist) und daher offener für Seitensprünge oder eine neue Beziehung ist. Selbst wenn du also Wert auf sexuelle und emotionale Ausschließlichkeit (Monogamie) legst, macht es Sinn, zu versuchen, die Eifersucht zu überwinden. Alles was du unternimmst, um "fremdgehen" oder "verlassen werden" direkt (durch Verbote, Drama, etc.) zu verhindern, erhöht nur die Wahrscheinlichkeit, dass es passiert!

Trotz dieser Erkenntnis halten viele Menschen dennoch in einer relativierten Form gedanklich an der Sinnhaftigkeit der Eifersucht fest. In Gesprächen höre ich oft den Satz: "Ein gesundes Maß an Eifersucht ist gut für eine beziehung, man sollte es aber nicht übertreiben." Was um alles in der Welt soll denn ein "gesundes Maß an Eifersucht sein"? Das wäre doch, wie wenn man sagen würde: "Also ein grippaler Infekt ist scheiße, aber ein gesundes Maß an Erkältung sollte jeder haben."

Eifersucht zu verdammen oder einfach zu ignorieren wäre jedoch der falsche Ansatz. Vielmehr sollte man sie als Anlass zur Selbstreflektion nehmen (so wie man z.B. eine starke Erkältungsanfälligkeit zum Anlass nehmen könnte, über eine gesündere Ernährungsweise nachzudenken oder nicht mehr bei Minusgraden im T-Shirt draußen rumzulaufen).

Bevor ich - in einem anderen, gesonderten Artikel - darauf eingehe, wie das praktisch ablaufen kann, schauen wir uns zunächst einmal an, warum wir überhaupt eifersüchtig sind. Eifersucht ist im Kern der unbewusste, halbbewusste oder bewusste Glaube an die eigene Unterlegenheit gegenüber angeblicher oder tatsächlicher Konkurrenz. Wenn wir auf eine Person eifersüchtig sind, in ihr eine Gefahr für unsere Beziehung sehen, dann gehen wir davon aus, dass diese Person unserem Partner besser gefallen wird als wir selbst. Jemand der sehr eifersüchtig ist, nimmt unbewusst an, dass nahezu jede andere Person den Partner eher verdient hätte. Dies ist ein sehr zuverlässiger Hinweis darauf, dass man mit einem oder mehreren Aspekten in Bezug auf sich selbst und das eigene Leben nicht im Reinen ist. Wer in anderen Menschen keine Bedrohung sieht, empfindet auch keine oder wenn dann nur eine vernachlässigbare geringe Eifersucht in Extremsituationen. Eifersucht hat also weniger mit der Liebe zu tun, wie wir zu unserem Partner haben, sondern mehr mit der Liebe, die wir für uns selbst nicht haben. Einige behaupten, Eifersucht sei lediglich ein Ausdruck der (liebevollen) Angst, den Partner zu verlieren. Auch wenn Eifersucht und Verlustangst sicherlich oft miteinander einhergehen, ist diese auf Eifersucht begründete Verlustangst kaum vergleichbar mit der Sorge die man für den Partner hat, dass dieser einen Autounfall oder ähnliches haben könnte (das analoge Verhalten wäre ja, dem Partner das Auto fahren zu verbieten). Wo Minderwertigkeitsgefühle bzw. ein Mangel an Selbstvertrauen die Hauptursache ist, liegt die Lösung - zumindest theoretisch - auf der Hand: Die Steigerung des Selbstvertrauens bzw. des Selbstwertgefühls.

Leben Menschen monogam, weil sie eifersüchtig sind oder sind sie eifersüchtig, weil sie monogam leben?

"Polyamory klingt ja super, aber dafür bin ich viel zu eifersüchtig, deshalb bleibe ich lieber monogam." Diese Aussage klingt nachvollziehbar, übersieht aber einen wichtigen Aspekt: Erst das Dogma, dass man grundsätzlich nur einen Menschen lieben und zu nur einem Menschen eine wie auch immer geartete Beziehung führen könne, macht jede andere Person, die der Partner vielleicht attraktiv finden könnte, zu einer so existenziellen Bedrohung für die bestehende Beziehung, denn es ist ja klar: Wenn der Partner eine andere Person toll findet, dann kann er einen ja gar nicht mehr lieben. Zudem würde der oder die "Neue" ja verständlicherweise (aus denselben dogmatischen und/oder minderwertigkeitskomplexbehafteten Motiven heraus) auf einen Kontaktabbruch drängen. Die dogmatische Monogamie schafft also strukturell fast schon eine Art Notwendigkeit für Eifersucht, Kontrollwahn und damit verbundene Verlustängste. Natürlich gibt es auch monogame Paare, für die Eifersucht und Kontrollwahn keine oder nur eine sehr geringe Rolle spielt. Dennoch sollte man diesen Aspekt nicht unterschätzen, denn genau genommen ist er ein besonders starker Auswuchs des Konkurrenz- und Wettbewerbsprinzips allgemein. In Konkurrenz zu anderen Personen in Beziehungsfragen stehen wir 1) weil wir selbst von Konkurrenzdenken geleitet und 2) weil uns Konkurrenzsituationen von außen (von anderen Personen, dem Partner, der Gesellschaft) aufgezwungen werden. Selbst wenn wir an sich keine große Lust auf Konkurrenzkampf haben, kann uns die monogamistische Norm dennoch dazu zwingen, unsere Beziehung vor der sogenannten "Konkurrenz" zu schützen, zumindest für den Fall, dass wir davon ausgehen müssen, dass der Erfolg der "Konkurrenz" nach den Spielregeln der (seriellen) Monogamie zwangsläufig das Ende der bestehenden Beziehung bedeutet.
Die wenigsten Menschen denken darüber nach, gänzlich vom Wettbewerbsprinzip abzusehen und es beispielsweise durch ein Solidaritätsprinzip zu ersetzen... .




Samstag, 6. Juli 2013

Offene Beziehungserlebnisse Teil 1

0. Vorwort:

Theorie ist schön und gut, doch was ist die Theorie ohne die Praxis? In diesem Teil möchte ich ein paar meiner persönlichen Erlebnisse schildern. Da sie teilweise schon einige Zeit her sind und aufgrund von Persönlichkeitsrechten Beteiligter Personen, werde ich oft nicht richtig ins Detail gehen können. Ich bitte dafür um Verständnis. Auch erhebe ich keinen Anspruch auf Vorbildhaftigkeit oder Vollständigkeit. Die wertvollsten und glücklichsten Momente polyamorer Erfahrungen lassen sich ohnehin nur schwer in Worte fassen. Bei folgenden Berichten geht es vor allem um einen lockeren und wohlwollenden Umgang mit angeblicher "Konkurrenz". Da ich alles aus der Erinnerung schreibe, ist auch keine chronologische Reihenfolge vorhanden. Kurze Gesprächsfetzen erhalten hier ebenso Beachtung wie längere Erlebnisse.

1. Nach einem gemeinsamen Rofabesuch (irgendwann zu Beginn unserer Beziehung)
...liegen wir nebeneinander angekuschelt im Bett. "Ich habe heute mit zwei Männern rumgemacht", meint Eva. "Ich mit drei Männern", erwidere ich wahrheitsgemäß und mit einem süffisanten Lächeln.
 
2. Die Angst ist meist schlimmer als die Realität
Ich war wohl etwa ein halbes Jahr mit Eva zusammen, als ich R. kennen lerne. R. verwirft innerhalb eines Abends all ihre moralischen Prinzipien. Die Geschichte an sich wäre schon einen eigenen Artikel Wert, an dieser Stelle sei nur gesagt: Nachdem sie mich vorab aufklärt, dass Küssen beim ersten Treffen gar nicht ginge und sie erst Recht niemanden mit zu sich nach Hause nehmen würde und sowieso sexuelle Kontakte grundsätzlich nur innerhalb einer (monogamen) Beziehung stattfinden dürften, landen wir nach vielleicht vier Stunden bei ihr zu Hause. Die Initiative geht von ihr aus. Ich mache ihr vorab klar, dass ich gerne meinen Spaß habe und nicht für die Monogamie geschaffen sei. Sieg der Emotionen über die Moral! Um sie nicht gänzlich zu überfordern, konfrontiere ich sie erst nach und nach mit den Details meiner Einstellung zum Thema Liebe (heute handhabe ich das ein wenig anders). Besonders schwer zu knabbern hat sie an der Tatsache, dass ich schon eine feste Freundin habe. Offenbar hat sie Hoffnungen gehegt, mich irgendwie umstimmen zu können. Mit der Zeit findet sie immer mehr Gefallen an offenen bzw. polyamoren Konzepten. Doch kommt sie auch nach vielen Monaten noch nicht damit klar, dass da noch Eva war. Eines Tages schlage ich R. vor, dass sie Eva mal persönlich kennen lernen solle und es ihr dann damit vielleicht besser ginge. Trotz ihrer Ablehnung richte ich es ein, dass die beiden sich begegnen (Eva setzte ich natürlich in Kenntnis). Sobald sie Eva sieht, sind R.'s Angst und Bedenken wie weggeblasen. Sätze wie "Hach, jetzt versteh ich warum ihr euch so liebt und diese Art von Beziehung führt" und "Ich glaub, ich hab mich auch ein wenig in Eva verliebt" sowie "Ich bin froh dass du das so eingefädelt hast, ich hab jetzt kein Problem mehr damit", sind nur ein paar Beispiele, was ich die Tage darauf zu hören bekomme. Die Monate darauf unternehmen wir auch einige Male etwas zu dritt, zwischen den beiden entwickelt sich ein freundschaftliches Verhältnis.
Inzwischen lebt R. wieder in einer monogamen Beziehung, führt diese jedoch weitaus gelassener und stressfreier als ihre vorherigen monogamen Beziehungen, was sie u.a. auf ihren Ausflug in die Freiheit zurückführt. Wir sind nach wie vor befreundet - eben zur Zeit ohne "Extras".

3. Pizza
Ich betrete Eva's Wohnung. Sie hat gerade von F. Besuch. Die beiden futtern eine Tiefkühlpizza. Ich geselle mich hinzu. F. habe ich schon zuvor flüchtig kennen gelernt. Ich mag ihn. Wir führen Small Talk über dies und das. Irgendwann debattieren F. und ich darüber, wer oder was Tom Bombadil ist und wie die Valar vom Hinscheiden von Gandalf dem Grauen erfahren haben (er tippt auf Radagast). Eva versteht zunehmend nur Bahnhof. Ich betrachte zunehmend sehnsüchtig die Pizza. F. bemerkt dies und fragt: "Willst auch ne Pizza? Es ist noch ausreichend da." Ich nehme das Angebot gerne an: "Klar, da sage ich nicht nein." Er steht auf und verlässt das Zimmer in Richtung Küche: "Alles klar, ich schieb dir eine rein." - "Du meinst in den Ofen, oder?" - "Ich sehe, wir verstehen uns."




Freitag, 14. Juni 2013

Polyamory und Promiskuität

"Ihr wollt doch nur rumvögeln!" - Eine der am häufigsten zur Sprache gebrachten Vorverurteilungen polyamorer Menschen. Dieses "rumvögeln" nennt man Promiskuität. Die (wertende) Gleichsetzung von Polyamory und Promiskuität ist nicht nur faktisch falsch, sondern gleich dreifach bescheuert.

1. Promiskuität, also Sex mit vielen Menschen zu haben oder "nur" sexuelle Verhältnisse ohne emotionale und andersweite Bindung einzugehen, wird grundsätzlich als etwas negatives angesehen. Darf ich fragen, was daran so schlimm sein soll, wenn zwei oder mehr Menschen einvernehmlichen Sex haben und weiter nichts passiert oder sie in ihrer derzeitigen Lebenssituation (oder generell) keine engeren Bindungen haben möchten?

2. Polyamory bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf Sexualität, sondern auch auf Emotionalität, also sprich darauf, mehrere Menschen zu LIEBEN. Meine lieben Moralapostel, ich glaube, in diesem Punkt dürften wir uns einig sein: Liebe besteht nicht nur aus Sex. Zwar gibt es keine einheitliche polyamore Norm, doch in der Regel bejahen polyamore Menschen langfristige Beziehungen und starke emotionale Bindungen - oft eben nicht nur zu einem Menschen. Rein sexuelle Verhältnisse werden zwar nicht explizit angestrebt, aber auch nicht ausgeschlossen: Alles was einvernehmlich ist und alle Beteiligten glücklich macht, ist okay. Sei es eine Liebesbeziehung, Romanze, Affäre, Freundschaft Plus, oder wie man es sonst noch benennen mag.

3. Interessant, dass ausgerechnet für die Menschen, die freie Sexualität verurteilen, Sex der einzig denkbare Grund ist, nicht-monogam zu leben. Interessant, dass ausgerechnet die Menschen, die uns gerne vorwerfen, wir wären sexbesessen, riesige Dramen veranstalten, langjährige Beziehungen beenden und Familienstrukturen zerstören, nur weil einer der Beteiligten "fremdgegangen" ist - nur wegen ein bisschen Sex! Da frage ich mich, wer hier sexfixierter und -besessener ist: Ein Mensch der Sex einfach einvernehmlich und frei genießt, mit oder ohne Gefühle oder jemand, der wegen Sex (den er/sie noch nichtmal selbst gehabt hat in dem Fall) im Zweifelsfall sein halbes Leben umwirft und dabei weder Rücksicht auf sich, noch den Partner, noch auf eventuelle Kinder nimmt.

Samstag, 11. Mai 2013

Rock gegen Sexismus und Homophobie

Noch immer herrschen diverse Vorstellungen davon, was ein "echter Mann" oder eine "echte Frau" sein soll. Vom Sozialverhalten über Berufsbilder bis hin zu so simplen und an sich unbedeutenden Dingen wie Kleidung. Sobald man - was letztgenanntes betrifft - gegen die Norm verstößt, kann es zu seltsamen Reaktionen der Mitmenschen kommen, schlimmstenfalls bis hin zu offener Diskriminierung oder gar Gewalt. Es lässt sich damit aber auch jede Menge Spaß haben... .

Treffe mich mit einer Freundin in Tübingen. Die Zugfahrt ist unspektakulär (zu dem Zeitpunkt trage ich noch Jeans). Am Tübinger Bahnhof lerne ich kurz ihren neuen Freund kennen. Sympathischer Kerl. Nachdem er sich verabschiedet hat, gehen Alice und ich erstmal Richtung Subway - ich habe Hunger. Blöderweise nehmen sie keine EC-Karten-Zahlung an. Also kurz zur Bank schräg gegenüber. Von den beiden Geldautomaten funktioniert nur einer, und der spuckt als kleinsten Schein 50-Euro aus. Ist das die Zukunft des Euro, dass man irgendwann nur noch große Scheine abheben kann, und wer Ende des Monats nicht mehr genug auf dem Konto hat, hat Pech gehabt? Zurück zu Subway und gegessen. Anschließend auf die Toilette. Ziehe mir einen recht kurzen, roten Lackrock an, den ich die Woche zuvor in Stuttgart gekauft hatte, und darunter auch ein weibliches Unterwäscheteil (das zumindest ausreichte, um die Stellen zu bedecken, die man in der Öffentlichkeit bedecken sollte). Oben trage ich schon die ganze Zeit über ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gottlos glücklich", an welches ein Hammer-und-Sichel-Button gepinnt ist. Insgesamt nun also ein Outfit das auf unterschiedlichen Ebenen (nämlich oberhalb und unterhalb der Gürtellinie) zur Provokation geeignet ist. Wozu das ganze? In erster Linie aus Spaß. Doch abgesehen davon kann es nicht schaden, auch mal bewusst gegen Normen zu verstoßen, um die Sensibilität der Menschen auf den Prüfstand zu stellen und zu schärfen. Wenn du heute als Mann mit einem "weiblichen" Rock rumläufst, dann wirst du zumindest angestarrt. Mir persönlich macht das nichts aus, aber gilt das auch für Menschen, die zum Beispiel biologisch männlich sind, jedoch das soziale weibliche Geschlecht annehmen und sich auch entsprechend kleiden? Für sie ist es eine Frage der Identität und nicht einfach nur eine spaßige Aktion. Doch was wenn nun immer mehr Menschen von der herkömmlichen Norm abweichen? Wenn du jeden Tag Männer in Röcken sehen würdest, dann würdest du nach einiger Zeit nichts mehr daran komisch finden - und aufhören zu starren.

Nachdem wir uns beim Rewe ein paar Bier besorgt haben, laufen Alice und ich Richtung Eberhardsbrücke. Sie kichert unentwegt. Ich frage sie irgendwann, was denn los wäre. Sie meint: "Die Leute, wie sie gucken!" War mir gar nicht aufgefallen. Ich achte nun bewusst darauf und stelle nun ebenfalls ein sehr amüsantes Verhalten der Menschen die uns entgegen kommen fest. Ein kurzes Starren, dann den Blick woanders hin gerichtet, und kurz bevor man ihrem Blickfeld entschwindet noch einmal ein prüfender Blick, ob sie auch wirklich richtig gesehen haben. Ein paar ältere Menschen werfen mir auch böse Blicke zu, als wir an ihnen vorbei laufen. Ich grinse sie an und laufe weiter. Auf der Flussinsel setzen wir uns auf eine Bank. Die jungen Frauen an denen wir vorbei laufen, kichern. Alice beginnt, mich ab nun mit Olivia anzusprechen. Im Gegenzug nenne ich sie Günter. Zunächst bleiben die Reaktionen der Leute verhalten. Als wir nochmals Biernachschub holen, kommt uns eine Gruppe "halbstarker" Jungs entgegen. So Marke Ende Pubertät. Sie glotzen einigermaßen blöd aus ihrer betont maskulinen Wäsche, ich höre Kommentare wie "Ey Alter, guck mal den!". - "Und trotzdem hab ICH ne Frau dabei", entfährt es mir halblaut (ja ich weiß, voll heteronormativ und so).

Wir sitzen nun wieder auf einer Bank. Zwei Inder (ich vermute mal, dass es Inder waren) laufen an uns vorbei und werfen uns neugierige Blicke zu. Sie drehen sich nochmals zu uns um und grinsen. Ich werfe ihnen einen Handkuss zu, sie erwidern die Geste. Sie kommen zurück, geben Alice und mir grinsend die Hand. Einer von ihnen packt plötzlich ein Bündel Bananen aus seiner Tasche und überreicht uns jeweils eine. Sie verabschieden sich von uns und gehen. Nachdem wir uns von unserem Lachanfall erholt haben, machen wir uns erstmal Gedanken darum, wo wir uns die Bananen am besten hinstecken. Wir entscheiden uns dann doch für die traditionelle Variante: Einfach essen. Natürlich nicht ohne entsprechend andeutende Bewegungen zu machen... .

An den Wortlaut unserer Unterhaltung kann ich mich nicht mehr exakt erinnern. Eine perverse Zweideutigkeit folgte der anderen. Meine Bauchmuskeln schmerzen irgendwann vor lauter Lachen.

Ein junger Mann aus Montenegro spricht uns ebenfalls an. Er heißt Remis. Er fragt mich, ob ich homosexuell sei. Irrtümlicherweise konstruieren viele Menschen einen Zusammenhang zwischen Homosexualität bei Männern und weiblichem Verhalten. Er meint es aber keineswegs böse, sondern scheint neugierig. Ich kläre ihn auf. "Du bist ja geil drauf", meint er. Es stellt sich heraus, dass er zum einen in derselben Gegend wohnt wie Alice, zum anderen auch eher der Typ für offene Beziehungen ist. Blöd für Alice, dass sie gerade am Beginn einer wohl eher monogamen Beziehung steht. Wir unterlassen es natürlich nicht, sie damit aufzuziehen, wie schön es doch wäre, wenn wir uns jetzt zu dritt ein Hotelzimmer nehmen würden... . Wir quatschen über Gott und die Welt, von Sex und Beziehungen anfangen bis hin zur Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Remis wiederholt des öfteren die Aussage: "Du bist echt geil drauf."

Später laufen wir zurück zum Bahnhof, Alice in der Mitte, mit uns beiden Händchen haltend. "Boah, die halten mich hier alle bestimmt voll für ne Schlampe", meint sie. "Aaach, die gucken doch eh alle nur MIR hinterher", tröste ich sie. Am Bahnhof verabschieden wir uns herzlich.

Im Zug werde ich plötzlich müde. Ich döse vor mich hin, werfe aber, wenn Leute einsteigen kurz einen Blick in den Gang. Man weiß ja nie, zumal ich ja nun alleine unterwegs bin. Schon fast zurück in Stuttgart, spricht mich ein junger Mann an. "Sag mal...warum machst du das? Warst du mal ne Frau?" Was für eine Schlussfolgerung! Ich antworte wahrheitsgemäß: "Nicht dass ich wüsste. Ist einfach nur aus Spaß." Er findet es super und fragt mich, ob er ein Foto machen darf. Ich habe nichts dagegen. Wir unterhalten uns kurz, er geht dann in Richtung "was essen holen", ich zur S-Bahn. Dort sitzt mir eine junge Frau gegenüber, die mich immer wieder verstohlen anschaut. Wir wechseln ein paar freundliche Worte, dann steige ich in Ludwigsburg aus und laufe Richtung Bus. Am Bahnhofseingang stehen zwei Männer und eine Frau, vermutlich südländisch. Ich bin schon längst an ihnen vorbei gelaufen, da ruft sie mir irgendwas hinterher. Ich bleibe stehen und drehe mich um. Sie ruft wieder. Ich laufe zurück. "Was hast du denn da an?", fragt sie mit einer Mischung aus Neugierde und Skepsis. "Nen Rock, wie du siehst", sage ich. Sie mustert mich noch immer mit einem "Ich weiß nicht was ich davon halten soll"-Blick. "Sieht doch geil aus, oder?", füge ich hinzu. Einer der Typen ist auf mein "Gottlos glücklich"-T-Shirt aufmerksam geworden. "Bist Atheist?" - "Ja klar!" - "Ich auch." Er hält mir die Hand zum Einschlagen hin. Wir klatschen ab. Dann verändert sich sein Gesichtsausdruck. "Blöde Schwuchtel". Ich überhöre es, wünsche ihnen noch einen schönen Abend und spaziere zur Bushaltestelle.

Fazit: Homophobie und starres Geschlechterrollendenken ist durchaus noch vorhanden in unserer Gesellschaft, wenn auch vermutlich weniger ausgeprägt als früher. Die meisten Reaktionen sind eher neutral. Interessanterweise stammten die ausdrücklich positiven Reaktionen von Menschen aus anderen Kulturkreisen, die eher negativen Reaktionen kulturunabhängig, oder eben von älteren Menschen. Was mich sehr freut ist, bei der Aktion die Bekanntschaft eines sehr aufgeschlossenen und sympathischen Menschen gemacht zu haben (Remis). Über die politisch-gesellschaftliche Wirksamkeit solcher Aktionen mag man sich streiten, doch allein fürs Menschen kennen lernen und für den Spaß den wir dabei hatten, lohnt es sich.

PS.: Sei ehrlich! Du hast beim Lesen der Überschrift mit einem Bericht über ein Rockkonzert gerechnet.

Donnerstag, 2. Mai 2013

"Was empfindest du...?"

Zu Beginn unserer Beziehung (also vor fast vier Jahren) fragte ich Eva, was sie denn empfinde, wenn ich mich mit anderen Frauen treffe. Ihre Antwort:

"Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder sie ist toll, dann freue ich mich darüber, dass du tolle Menschen kennen lernst. Oder sie ist 'ne Zicke, dann freue ich mich darüber, dass sie dir zeigt, was du an mir hast."

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dienstag, 30. April 2013

Was ist eigentlich Liebe?

Wir alle benutzen dieses Wort, wir alle schreiben ihm eine große Bedeutung zu, manche betrachten die Liebe sogar als allumfassenden Lebenssinn. Auch in Kultur, Kunst und Literatur handelt geht es meist um das Eine. Doch was meinen wir überhaupt, wenn wir das Wort mit den fünf Buchstaben benutzen? Wenn man sich anschaut, welche Definitionen und Weisheiten an Stammtischen, im Freundeskreis, in diversen Selbsthilfegruppen oder im Internet kursieren, dann kann man nur zu dem Schluss kommen, dass jede_r irgendwie ein bisschen was anderes darunter versteht. Sätze wie: "Wenn..., dann ist es keine wahre Liebe", sind nur die deutlichste Form davon.

Oft höre ich, man solle die Liebe besser nicht näher umschreiben oder definieren, da man ihr sonst die Mystik oder die Romantik nehme. Vollkommener Unsinn. Wenn ich ein Gefühl oder einen Cocktail aus Gefühlen besser nachvollziehen kann, heißt das doch nicht, dass ich deswegen weniger fühle. Im Gegenteil, auf diese Art und Weise kann man unter Umständen sogar viel intensiver fühlen oder negative Bestandteile abschwächen. Was natürlich passieren kann ist eine Desillusionierung. Wer Liebe für etwas "göttliches" hält, könnte damit konfrontiert werden, dass sie vielleicht doch etwas zwischenmenschliches ist - wie schrecklich!

Woher kommt es, dass wir so unterschiedliche Vorstellungen von Liebe haben? Zum einen liegt es natürlich daran, dass Liebe kein Gegenstand ist, den man herzeigen oder aufmalen könnte. Allein das macht die Kommunikation schwierig. Dann kommt hinzu, dass es sich um sehr starke Gefühle handelt, die unterschiedlich interpretiert werden können. Was für den einen schon "Liebe" ist, ist für den anderen vielleicht nur "verliebt sein". Eine eindeutige Grenze wird es wohl nie geben. Doch genau deshalb halte ich es für wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Schon allein um Missverständnissen (und damit unnötigen emotionalen Verletzungen) in Beziehungen oder eventuell entstehenden Beziehungen vorzubeugen.

Viele Alltagsweisheiten haben interessanterweise einen sehr resignativen Charakter. Andere widerum mystifizieren die Liebe, verherrlichen sie bis zum geht nicht mehr. Angeblich soll die Liebe sogar den Tod überwinden. Muss ich erwähnen, dass das Quatsch ist? Nein? Gut! Auch Umschreibungen wie "Liebe ist, wenn Treue Spaß macht" (also einen nichtdefinierten Begriff durch einen anderen nichtdefinierten Begriff definieren) bringen uns der Sache kaum näher.

Der Psychologe und "Liebesforscher" Robert Sternberg unterteilt die Liebe in drei mögliche Hauptbestandteile:

1. Die Leidenschaft, die sexuelle Anziehung, die in ihrer stärksten Form als Verliebtheit auftritt. (Bei asexuellen Menschen fällt das Bedürfnis nach Sex weg. Verlieben ist dennoch möglich.)

2. Emotionale Nähe, Vertrauen, Geborgenheit

3. Bindung, also die (meist bewusste) Entscheidung, mit jemandem - in welcher Form auch immer - "zusammen" zu sein.

Aus dem Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein dieser drei Teilaspekte ergeben sich unterschiedliche Formen der Liebe. Verliebtheit und Nähe, aber (noch) keine Bindung? Sternberg spricht hier von romantischer Liebe. Nähe und Bindung, aber keine Leidenschaft? Kameradschaftliche Liebe (stark verwandt mit familiärer Liebe). Nur Bindung, aber sonst gar nichts? Leere Liebe. Alles drei stark vorhanden? Erfüllte Liebe.

Selbstverständlich handelt es sich hierbei nur um eine modellhafte Umschreibung. Meistens treten diese Aspekte natürlich nicht ganz oder gar nicht auf, sondern in zahlreichen Abstufungen der Intensivität. Dennoch ein sehr praxistaugliches Modell. Es beantwortet die heißdiskutierte Frage, inwieweit Sex und Liebe zusammengehören. Die Antwort ist simpel: Sexualität ist natürlich ein Bestandteil romantisch-partnerschaftlicher (erfüllter) Liebe, jedoch besteht Liebe nicht nur aus Sex.

Auch die Frage, ob es grundsätzlich möglich ist, mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben (was natürlich nicht heißt, dass dies immer geschieht), sollte keinen Zweifel mehr offen lassen. Kaum jemand würde auf den Gedanken kommen, zu behaupten: "Du kannst entweder deine Mutter oder deinen Vater lieben. Beides gleichzeitig geht nicht." Halt, wirst du jetzt vielleicht einwenden, das ist doch etwas völlig anderes! Wirklich? Ich behaupte einfach mal, dass sowohl Nähe bzw. Vertrauen als auch Bindung (schließlich ist man "verwandt") Bestandteile familiärer Liebe sind. Optimalerweise fehlt die leidenschaftliche Komponente. (Ödipus und Freud lassen wir hier mal außen vor). Die erfüllte Liebe unterscheidet sich also "nur" durch die starke sexuelle Anziehung (bzw. Verliebtheit) von der familären Liebe. Und ausgerechnet der sexuelle Aspekt soll der Grund dafür sein, dass man in dieser Form der Liebe nur einen lieben kann? Ist das nicht eine übertriebene Glorifizierung der Sexualität? Interessanterweise vertreten ausgerechnet die Menschen solche Ansichten, die immer noch das Märchen glauben, dass der nette Hosenwurm in Wirklichkeit etwas ganz böses ist, was man eigentlich nur zur Fortpflanzung rauslassen darf. Dass man mehrere Menschen gleichzeitig sexuell stark anziehend finden kann, dürfte außer Frage stehen.

Vielleicht vermisst du hier Begriffe wie Eifersucht oder Verlustangst. Diese sind genau genommen kein Bestandteil der Liebe, sondern häufige Begleiterscheinungen. Wir werden uns damit natürlich auch noch intensiv auseinandersetzen, worauf wir sie hoffentlich begraben können, um die positiven Seiten der Liebe stärker genießen zu können.

Sonntag, 21. April 2013

Polyamory - Einleitung

Ein Gespenst geht um in den Herzen (und Schlafzimmern) der Menschen - das Gespenst von Polyamory.
Obwohl man, wenn man die Menschen direkt danach fragt, den Eindruck haben könnte, dass die monogame Zweierbeziehung das Non-plus-ultra der Liebe sei, sieht die Realität bekanntermaßen anders aus. Viele finden sich ab mit dem Konflikt zwischen Lust und Moral, dem Entscheidungszwang zwischen "freiem aber einsamen Single-Leben" und "geborgener aber einschränkender Beziehung" oder der Entscheidung zwischen zwei möglichen PartnerInnen, für die man beide Gefühle hat. In der gegenwärtig etablierten Doppelmoral (sexuelle Freiheit als Single auf der einen, aber ein extrem konservatives und restriktives Beziehungsbild auf der anderen Seite) macht sich nicht selten eine emotionale Orientierungslosigkeit bzw. starke innere und äußere Konflikte breit. Die Zahl der Menschen, die auf der Suche nach einer Alternative sind, steigt... .

Polyamory bezeichnet die Einstellung bzw. die Praxis, zu mehreren Menschen eine (wie auch immer geartete) Liebesbeziehung zu führen, in vollem Wissen und Einverständnis aller Beteiligten. Ein Konzept, das keineswegs so neu ist, wie manche Medien uns glauben machen wollen. Polyamory ist auch längst kein reines Randphänomen in fernöstlich-spirituellen Kreisen, der linksradikalen und libertären Szene, in Foren sex-positiver Feministinnen oder Teilen der PickUp&Seduction-Community mehr. Zumindest die Kunde, wenigstens ein Geflüster, dass es da so etwas gibt, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch wenn den meisten Menschen das Verständnis dafür fehlt und aufgrund dessen und aus psychologischen Schutzmechanismen heraus ("Wie können die es wagen, das Primat der Zweierbeziehung infrage zu stellen?") Vorurteile an der Tagesordnung sind.

Ich selbst lebe seit einigen Jahren offen bzw. polyamor. Als ich mich damals aus Neugierde (und bisheriger Unzufriedenheit) auf dieses Abenteuer einließ, hätte ich mir kaum vorstellen können, dass dieses Modell des Zusammenlebens sich zwar langsam und oft unbemerkt, aber stetig verbreitet. Aus der anfänglichen Skepsis oder gar Ablehnung meines persönlichen Umfelds wurde im Laufe der Zeit Neugierde, Akzeptanz und Wohlwollen - teilweise soweit, dass einige ebenfalls begannen, offene und polyamore Beziehungen zu führen oder dies zumindest in Erwägung zogen.
Letztes Jahr (2012) ging es los, dass ich die ersten Interviews zu dem Thema gab und als Referent zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen wurde. Das Thema ist so vielschichtig und umfassend, dass ein Interview oder ein Vortrag nicht ausreicht, um wirklich in die Tiefe zu gehen. Eine kurze Zeit lang dachte ich daran, ein Buch zu schreiben, doch Liebe im Allgemeinen und Polyamory im Speziellen nur theoretisch zu beleuchten oder den aktuellen Entwicklungsstand der persönlichen Erfahrungen zu einem zufällig gewählten Zeitpunkt als Maßstab zu setzen, würde der Sache nicht gerecht. Ganz abgesehen davon, dass Blogs heutzutage einfach leichter mehr Menschen erreichen :-).

Da es keine "polyamore" Norm gibt (abgesehen von ein paar grundsätzlichen ethischen Prinzipien wie beispielsweise Selbstbestimmung, Einvernehmlichkeit und Ehrlichkeit),  wäre es sehr einseitig, wenn ich ausschließlich meine eigenen Meinungen, Gefühle und Erfahrungen mit einfließen ließe. Daher wird es im Laufe der Zeit immer wieder Interviews und Erfahrungsberichte von anderen offen und polyamor l(i)ebenden Menschen geben.

Bevor hier Missverständnisse entstehen: Ich beabsichtige keineswegs, Polyamory als "einzig wahre Beziehungsform" darzustellen. Es geht mir vielmehr darum, die Akzeptanz und den Respekt vor unterschiedlichen Neigungen und Beziehungsformen zu stärken, auch wenn sie weder der gesellschaftlichen Norm noch dem eigenen Empfinden entsprechen. Solange du mit deiner sexuell und emotional ausschließlichen Zweierbeziehung glücklich bist (und dein/e PartnerIn das ebenfalls ist), gibt es keinen Grund, das zu ändern! Dennoch bin ich davon überzeugt, dass auch Menschen, die monogam leben und vorhaben dies auch weiterhin zu tun, viel für ihre Beziehung oder Ehe viel aus der polyamoren Lebensphilosophie mitnehmen können.

Egal, welches deine sexuellen Neigungen und Vorlieben und deine bevorzugte Beziehungsformen sind, bedenke:

Freiheit ist die Freiheit des Andersliebenden.

In diesem Sinne wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen und Kommentieren.